Google+ Julias Buchblog: CKLKH Fischer - Grosse Kannibalenschau

Sonntag, 4. November 2012

CKLKH Fischer - Grosse Kannibalenschau

Grosse Kannibalenschau
CKLKH Fischer
ISBN 9783940767608

Hamburg im September 1899: In Europa ziehen Völkerschauen Millionen von Besuchern an. Jeder will die Eskimos, Beduinen oder Negerstämme sehen, die in den Zoos und Varietés der Metropolen ausgestellt werden. Deshalb reist Heinrich Hermann im Auftrag des legendären Tierhändlers und Tierparkbesitzers Hagenbeck durch die Welt und sucht nach lohnenswerten Ausstellungsobjekten. Nach vielen Strapazen gelingt es ihm, im Dschungel von Deutsch-Neuguinea einen neuen Stamm Kopfjäger unter Vertrag zu nehmen und sie erfolgreich nach Hamburg zu bringen. Doch er hat nur wenig Zeit, sich seiner Frau und seiner geliebten Tochter zu widmen, denn die Wilden haben schnell gelernt. Eines Morgens meldet das Dienstmädchen aufgeregt: „Da ist jemand vom Tierpark. Er sagt, Sie sollen schnell mitkommen. Er sagt, es eilt. Er sagt auch, Ihre Wilden würden - streiken. Und sie hätten sich einen Anwalt genommen.“ 

Heute zur Abwechslung wieder ein „eigenes“ Buch, deshalb auch keine Sternchenbewertung. Das war mein erster historischer Roman, den ich mir als Lektorin selber aussuchen konnte. Dass man exotische Menschen Ende des 19. und zu Beginn des 20 Jahrhunderts in Zoos ausgestellt hat, war mir schon seit längerem bekannt. Sie wurden zwar selten mit Gewalt geraubt, aber oft nicht besser als Vieh behandelt und zur Belustigung des europäischen Publikums zur Schau gestellt. Was mir bei diesem Buch aber besonders gut gefallen hat, ist die Idee, die Machtverhältnisse umzukehren. Da mit diesen „Wilden“ tatsächlich Verträge geschlossen wurden und man sie zumindest für die Reise mit gültigen Papieren ausstatten musste (schließlich waren sie als Einwohner einer deutschen Kolonie deutsche Untertanen), waren sie also theoretisch rechtsfähig. Dadurch, dass im Roman nun die Wilden über Anwälte ihre Ansprüche durchsetzen, stellen sie die bürgerliche Welt auf den Kopf und lassen die Grenzen zwischen „wild“ und „zivilisiert“ verschwimmen. Das führt zu herrlich absurden Situationen, etwa wenn Heinrich Hermann gezwungen ist, die Wilden zur Geburtstagsfeier seiner Mutter mitzunehmen, weil ihnen im Vertrag das „Kennenlernen deutschen Brauchtums“ zugesichert wurde. Ein sehr lesenswerter Roman über ein wenig ruhmhaftes Kapitel europäischer Geschichte.

2 Kommentare:

  1. In Wien gabs in dem Zusammenhang mal ein besonders "geschmackvolle" Kuriosität; nämlich einen ausgestopften Schwarzafrikaner...
    http://de.wikipedia.org/wiki/Angelo_Soliman

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    1. Schön...
      Es lagern ja auch noch allerlei Knochen von "Wilden" zu Vergleichszwecken in den Skelettsammlungen der ethnologischen Museen, auch sehr pietätvoll. Da laufen auch mehrfach Rückforderungen, damit man sie wenigstens nach Tradition bestatten kann...

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